Paul Auster und Sam Messer: The Story of My Typewriter


Die vorliegende Miszelle basiert auf einem Impulsreferat gehalten am 9. März 2011 an der Bergischen Universität Wuppertal im Rahmen des DFG-Projekts Das Künstlerbuch als ästhetisches Experiment. Sie wurde auf www.academia.edu erstmals veröffentlicht.

Definiert man, wie Viola Hildebrand-Schat es in Anlehnung an Philip Hofer vorgeschlagen hat, das livre d’artiste als ein Buch, in dem Texte und Bilder aufeinandertreffen, wobei »die visuelle Schöpfung [-] gleichberechtigt neben dem Text [steht]« und in dem »auch der Text zunehmend als Gestaltungselement betrachtet wird«,[1] so kann man bei dem von Sam Messer und Paul Auster veröffentlichten Buch The Story of My Typewriter[2] von 2002 als rezentes Beispiel für diese Gattung nehmen. Bilder, die Sam Messer von Paul Austers Schreibmaschine angefertigt hat, kommen hier zusammen mit einem Text von Auster, in dem dieser die Geschichte seiner Schreibmaschine erzählt. Es handelt sich bei dem Buch, wie der Werbetext auf der Verlagshomepage verspricht, um »a beautiful object; one that will be irresistible to lovers of Auster’s writing, Messer’s painting, and fine books in general«.[3]

Im Juli 1974, so erzählt Auster, habe er sich eine neue Schreibmaschine zulegen müssen, weil seine alte bei der Rückkehr aus Frankreich, wo er sich mehrere Jahre aufgehalten hatte, irreparabel beschädigt worden sei. Die neue, eine Olympia-Schreibmaschine Typ SM 9 kauft Auster kurz darauf von einem Freund. Jahre später zeigt Auster Messer die Maschine und dieser macht sie aus eigenem Antrieb zum Motiv mehrerer Arbeiten. Für Auster besteht die Bedeutung des Alltagsgeräts zunächst nur darin, dass sie zu einem besonderen Zeitpunkt, der Rückkehr aus der Fremde, in sein Leben tritt und dass sie ihn seit dem begleitet, zwischenzeitlich sogar zu seinem längsten Besitz geworden ist. Seit er sie 1974 bekommen hat sei »jedes Wort, das [er] geschrieben ha[t], auf dieser Maschine getippt worden« (S. 12). Als Werkzeug des angesehenen Literaten wird sie so mythologisch aufgeladen. Dieses auratische Element mag für Messer von Bedeutung gewesen sein. An zweiter Stelle steht für Auster, dass sie zu einem Symbol seines, wie er betont nicht dogmatischen, Widerstands gegen die Technik geworden ist. Auster weigert sich bis heute, wie er schreibt, Computer in seinen Arbeitsprozess zu integrieren. In diesem Sinne erklärt der Schriftsteller die Schreibmaschine »zu einer der letzten überlebenden Gerätschaften des Homo scriptorus des 20. Jahrhunderts« (S. 25).

Das Buch bringt Reproduktionen von 22 Tafelbildern und die Photographie einer Plastik der Olympia SM 9. Dazu kommen, teils gleichberechtigt mit dem Text, teils diesem untergeordnet, sechs Portraits des Autors, die ihn zusammen mit der Schreibmaschine sowie sechs, die nur Auster zeigen. Außerdem enthält der Band ein Selbstportrait Messers als vieräugiger Zeichner. Ein Teil der Bilder wird in Ausschnitten wiederholt; eine Strichzeichnung ist in der Art einer Vignette am Anfang und am Ende des Buches abgedruckt, sodass die Gesamtzahl der Abbildungen bei 40 liegt. Ihre Anordnung variiert: Der Großteil der Bilder steht mittig auf der Seite, es bleibt ein schmaler Rand, wobei die Kopf- und Fußstege sowie Außen- und Bundstege in der Regel paarweise gleich breit sind. Nur ein kleiner Teil der Abbildungen ist angeschnitten und/oder erstreckt sich über die ganze Doppelseite. Abgesehen von der Plastik und den Tafelbildern enthält der Band einige Strichzeichnungen, die mehrheitlich ein kleines Format aufweisen und eher Vignetten gleichen als gleichberechtigten Kunstwerken. Die Tafelbilder bestimmen den ästhetische Gesamteindruck des Buches. Sie zeichnen sich durch ihre zumeist expressive, kontrastreiche Farbgebung und den pastösen Farbauftrag aus. Messer malt die Schreibmaschine nicht nur, sondern modelliert sie plastisch durch das Auftragen von Farbe in Schichten. Die Bilder sind zum einen als Dokumente der Auseinandersetzung Messers mit der Schreibmaschine, der Entwicklung seiner individuellen Wahrnehmung und künstlerischen Gestaltung lesbar. Zum anderen ›erzählen‹[4] diese Bilder eine Geschichte von den Metamorphosen dieses Maschinen-›Wesens‹. Es sind also drei Geschichten, die hier einander überlagern: Austers schriftlich niedergelegte und zwei bildlich verfasste von Messer.

Stellenweise erinnern Messers Bilder an David Cronenbergs Verfilmung von William S. Burroughs’ 1959 (zuällig im Pariser Olmypia Verlag) erschienenem Roman Naked Lunch, in der lebendige Schreibmaschinen-Monster prominent in Erscheinung treten. Dann nämlich, wenn in Messers Bildern die Farbbandspulen oder Tabulatormarker zu Augen und die Tasten- zu Zahnreihen mutieren (S. 56) oder sich von der Maschine organisch-körpergeweblich anmutende Fasern zu Austers Fingern ziehen (S. 61). Die Assoziation der Schreibmaschine mit einem zähnestarrenden und -klappernden Monstrum stößt Messer gezielt an, indem er in einem Bild die Tastatur mit einem in Farbe und Form an einen Mund erinnernden Rahmen versieht und die vier Tastenreihen in zwei Blöcke teilt, wodurch der Eindruck eines Schlunds erweckt wird. Das deutet sich bereits am Ende des ersten Buchdrittels an (S. 33, vgl. 31, 54f., 58), wird aber erst im letzten Drittel vollzogen (S. 56). Die Personifizierung der Schreibmaschine als potentiell gefährliches Monster, zu der auch der pastöse Farbauftrag einen Beitrag leistet (die direkt aus der Tube auf die Leinwand aufgetragenen Farbtropfen gleichen spitzen Zähnen), ›infiziert‹ die vorangegangenen und die folgenden Bilder.

»Sam«, schildert Auster, »hat von meiner Schreibmaschine Besitz ergriffen, und ganz allmählich hat er einen leblosen Gegenstand zu einem Wesen mit eigener Persönlichkeit und Ausstrahlung gemacht. Die Schreibmaschien hat jetzt Launen und Wünsche, sie kann finstere Wut und ausgelassene Freude ausdrücken, und sieht man sie in ihrer grauen metallenen Hülle, könnte man fast schwören, dass man dort drin ein Herz schlagen hört. Ich muss zugeben, mir ist das unheimlich« (S. 34). In der Wechselbeziehung mit Text scheinen die Bilder die dominante Rolle zu spielen, wie es sich in dem Zitat andeutet. Der Text ist auf Doppelseiten, auf denen Text und Bild nebeneinander stehen, nie nennenswert schmaler gesetzt als das Bild. Gesetzt ist er aus der – wegen des großen Unterschieds zwischen Grund- und Haarstrichen, den markanten Serifen und den senkrechten Achsen – ausdrucksstarken Bodoni. Der Durchschuss ist großzügig gewählt und der Schriftgrad größer als gewohnt. Zudem ist der kurze Text in sechs Abschnitte gegliedert, die mit roten Schmuckinitialen verziert sind. Der Setzer, so macht es den Anschein, hat versucht den ansich kurzen Textes aufzuwerten, indem er ihm annähernd soviel Platz einzuräumen versucht wie den Bildern. Dafür, dass das Buch primär einen bildkünstlerischen Hintergrund hat, spricht schon der New Yorker Verlag Distinguished Art Publishers (DPA). Auch ist es Messer, der das Buch mit einer Widmung beschließt, worin auch eine Aneignung des Buches liegt, denn widmen kann man nur, was einem gehört. Die Appropriation der Schreibmaschine verläuft einseitig, wie Auster im Text, der insofern auch ein Meta-Künstlerbuch-Text ist, beschreibt: »Die Bilder sind hervorragend gemacht, und ich bin stolz darauf, dass meine Schreibmaschine sich als so würdiges Objekt erweist; zugleich aber hat Messer mich dazu gewzungen, meine alte Gefährtin mit anderen Augen zu betrachten. Ich bin noch dabei, mich darauf einzustellen« (S. 34f.).

Austers Anteil an dem livre d’artiste ist nachträglich: Nachdem Messer über Jahre hinweg die Schreibmaschine ›portraitiert‹ hat, schreibt Auster für das Buch auf, wie er zu ihr gekommen ist und welche Bedeutung sie für ihn hat. Dieser Schrifttext wird ebenfalls sogleich von Messer appropriiert, indem er eine Passage, die weiter hinten im Buch zu stehen kommt, in eines der ersten Bilder integriert (S. 15). Dieses Bild (und das vorangegangene auf der Doppelseite 14/15) thematisiert am deutlichsten die ontologische Differenz zwischen den im Buch vereinten Medien Bild und Schrift: Die Schrift des »Homo scriptorus des 20. Jahrhunderts« ist eine technische und technisierte Schrift. Das Wort ›Schreibmaschine‹ weist auf das technisch-maschinelle Schreiben hin. Im englischen typewriter kommt noch deutlicher zum Ausdruck: Die Schrift dieses Schreibgeräts ist eine Typenschrift und gerade keine Schreibschrift. Sie schreibt mittels des wiederholten Abdrückens der gleichen Typen (weitestgehend) identische Buchstaben, sprich tokens. Der Scriptor dagegen schreibt weniger durch Wiederholung als durch Nachahmung, denn ein handgeschriebener Buchstabe lässt sich nicht nach Art einer Maschine wiederholen, er kann lediglich zum Vorbild für weitere Buchstaben werden, die in einem schöpferischen Akt hervorgebracht werden müssen. Wenn Messer mit dem Pinsel Schreibmaschinentypen malt, – wobei sich der Pinselstrich auf besonders sichtbare Weise in der Pastösität des Farbauftrags manifestiert – ruft er den mittelalterlichen Scriptor in Erinnerung und hebt gerade dadurch die Differenz zwischen (Schrift als) Bild und Schrift (als Type) hervor und macht so seinerseits das Buch zu einem Meta-livre-d’artiste.

[1]Viola Hildebrand-Schat: Unveröf. Ms.

[2]Paul Auster/Sam Messer: The Story of My Typewriter. New York: Distinguished Art Publishers 2002. 22,6 × 17,6 cm, 72 Seiten, größenteils farbige Illustrationen. Hier zit. nach der deutschen Ausgabe: dies.: Die Geschichte meiner Schreibmaschine. Aus dem Englischen von Werner Schmitz. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2005.

[3]Der vollständige Werbetext lautet: »This is the story of Paul Auster’s typewriter. The typewriter is a manual Olympia, more than 25 years old, and has been the agent of transmission for the novels, stories, collaborations, and other writings Auster has produced since the 1970s, a body of work that stands as one of the most varied, creative, and critcally acclaimed in recent American letters. It is also the story of a relationship. A relationship between Auster, his typewriter, and the artist Sam Messer, who, as Auster writes, ›has turned an inanimate object into a being with a personality and a presence in the world.‹ This is also a collaboration: Auster’s story of his typewriter, and of Messer’s welcome, though somewhat unsettling, intervention into that story, illustrated with Messer’s muscular, obsessive drawings and paintings of both author and machine. This is, finally, a beautiful object; one that will be irresistible to lovers of Auster’s writing, Messer’s painting, and fine books in general.« (http://www.artbook.com/1891024329.html; Zugriff: 02.03.2011).

[4]Im Sinne des von Werner Wolf (Das Problem der Narrativität in Literatur, bildender Kunst und Musik. Ein Beitrag zu einer intermedialen Erzähltheorie. In: Vera Nünning/Ansgar Nünning (Hg.): Erzähltheorie transgenerisch, intermedial, interdisziplinär. Trier: WVT 2002, S. 23–104) aufgezeigten Kontinuums von primär erzählenden Texten (Vorbild: Roman) am einen und Erzählungen lediglich anstoßenden Texten (Vorbild: Bilderzyklus) am anderen Ende sind diese Bild-Erzählungen eher als Narration stipulierend zu betrachten: eine Geschichte lässt sich aus ihnen extrapolieren, ohne fix in sie eingeschrieben zu sein.