Zuerst veröffentlicht auf literaturundfeuilleton.wordpress.com, 29. Januar 2015.
Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues ist einer der angesehensten deutschsprachigen Weltkriegsromane. Peter Eickmeyer versucht ihn als Graphic Novel zu adaptieren und scheitert dabei an dem, was er am besten kann.
Über den Ersten Weltkrieg ist endlos viel geschrieben worden. Allein im August 1914, dem ersten Kriegsmonat, sollen eine Millionen Gedichte in deutschen Zeitungs- und Zeitschriftenredaktionen eingegangen sein. Das ist zum einen ein Beweis für die Anteilnahme der Bevölkerung des deutschen Reichs am Krieg, zum anderen ein Beispiel dafür, wie rasch Informationen mittels der Tagespresse transportiert werden konnten und wie schnell auf publizierte Texte mit eigener Textproduktion reagiert werden konnte. Ein moderner shitstorm scheint vergleichsweise harmlos. Auch die ersten längeren Texte haben nicht allzu lange auf sich warten lassen. Gezielt sind Verlage in den beteiligten Ländern auf Autorfang gegangen, denn besonders autobiographisch gefärbte Berichte von der Front ließen sich gut absetzen. Ihre Zahl ist inzwischen gänzlich unüberschaubar. Bis in die heutige Zeit erscheinen immer einmal wieder neue Romane, besonders natürlich in letzter Zeit, denn Verlage kennen und schätzen die verkaufsfördernde Wirkung von Jubiläen: je wichtiger das vergegenwärtigte Ereignis, umso größer die Profite. Wenn dieser Tage allerorten diesem ersten wirklich großen Schlachten gedacht wird, klingeln weltweit die Kassen. Wo man hinsieht, sprießen thematisch einschlägige Büchertische aus der Erde wie in Flandern die Mohnblumen („In Flanders fields the poppies blow“, wie man in John McCraes bekanntem Gedicht In Flanders Fields nachlesen kann.)
Man kann das den Verlagen nicht vorwerfen, denn immerhin ist es zumindest ein Nebeneffekt des okkasionistischen Publizierens, dass wichtige Texte präsent bleiben oder werden, die wiederum wichtige Ideen gewahr machen oder halten können. Gleichzeitig wird auch nach oben gespült, was eigentlich versenkt gehört. Und was sich ohnehin gut verkauft, kann vor dem Hintergrund eines geeigneten Jubiläums noch besser vermarktet werden. So der wohl bekannteste unter den kanonischen Romanen über den ersten Weltkrieg in deutscher Sprache: Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues (1928/29). Kiepenheuer & Witsch hat anlässlich des Gedenkens gleich zwei Sonderausgaben aufgelegt, eine mit und eine ohne Zusatzmaterial. Einen willkommenen Nebengewinn verspricht sich der Verlag sicher von den zeitgleich in identischer Aufmachung neu aufgelegten Romanen Der Weg zurück und Drei Kameraden, die bislang weniger gut bekannt waren. 2015 soll eine neue Verfilmung von Im Westen nichts Neues in die Kinos kommen, immerhin die dritte nach Lewis Milestones von 1930 und Delbert Manns von 1979. Harry Potter-Darsteller Daniel Radcliffe gibt dann den Protagonisten Paul Bäumer.
Remarques Roman, ein Rohrkrepierer
Ich will gleich gestehen, dass ich Remarques Roman nicht besonders schätze. Im Westen nichts Neues ist, was die Schilderungen der Figuren und der Kriegshandlungen anbelangt, weniger eindrucksvoll als Henri Barbusses Le Feu (1916), literarisch viel weniger interessant als E. E. Cummings pikaresker The Enormous Room (1922), weniger eindeutig in seiner kritischen Haltung als Humphrey Cobbs Paths of Glory (1935), was den Einblick in die Denkwelt der Figuren angeht viel dürftiger als Siegfried Kracauers Ginster (1928) und sprachlich viel ärmer als etwa Louis-Ferdinand Célines Voyage au bout de la nuit (1932). Egon Erwin Kisch, selbst Kriegsteilnehmer und -schriftsteller, hat bei Erscheinen von Im Westen nichts Neues gegen die „remarquable Verwässerung“ geätzt, die „dem geschickten Nachtreter“ Remarque „Millionenerfolge und die Anwartschaft auf den Nobelpreis“ gebracht habe. Im Westen nichts Neues ist sicher nicht der einzige Kriegsroman, der zwar den Krieg als solchen und die militärischen Strukturen als Ganzes geißelt, dabei aber andere Ideen ganz unkritisch behandelt. Kameradschaft zum Beispiel. Im Graben und unter Beschuss hält Mann bedingungslos zusammen. Inszeniert wird das von Remarque entlang des Bruchs zwischen den Offizieren, insbesondere denen in der Etappe, und den ‚einfachen‘ Frontsoldaten wie Bäumer und seine Freunde. Unter anderem am Beispiel von Ausbilder Himmelstoß wird der Unterschied zwischen ‚Frontschwein‘ und Etappenoffizier ausführlich thematisiert. Himmelstoß, der die Rekruten mit sinnlosen und erniedrigenden Übungen quält, wird vom Erzähler Bäumer als Feigling dargestellt, der vor seinen Vorgesetzten kuscht, vom Krieg aber keine Ahnung hat. Auch der Bruch zwischen Soldaten und Gesellschaft, der im Roman anhand des Lehrers Kantorek durchgespielt wird. Dieser hatte Bäumers Klasse aufgestachelt und dazu gedrängt, sich bei Kriegsbeginn kollektiv freiwillig zu melden. Seine nationalistischen Ideen entlarvt der Roman im Angesicht der Gewalt an der Front, der der einzelne ausgesetzt ist, als verblendet und wertlos. Die Soldaten erscheinen bei alldem aber, trotzdem sie ihrem Selbstverständnis nach vom Krieg beschädigt und verroht sind, fast ausnahmslos als gutmütig, zuverlässig und hilfsbereit – kameradschaftlich eben. Wenn Stanislaus ‚Kat‘ Katczynski Essen für die Gruppe um Bäumer requiriert, erweist er ihnen damit einen kameradschaftlichen Dienst. Dass er dabei zum Dieb wird und dass Gewalt gegenüber Zivilisten, für die diese Nahrungsmittel genauso überlebenswichtig sein dürften, immer eine Option ist, bleibt bei Remarque jedoch gänzlich unreflektiert. Wenn Bäumer und seine Kameraden eine Gans stehlen oder mit zur Prostitution genötigten Zivilistinnen verkehren, erscheint das allenfalls als Streich und Abenteuer von Lausbuben. Dass sie dabei die Unterdrückung und Ausbeutung, die die Soldaten selbst erfahren, an die Zivilbevölkerung weitergeben, wird nicht einmal thematisiert, geschweige denn kritisch beleuchtet.
Die unkritische Haltung gegenüber den poilus geht bis zur Verklärung. So ist Bäumers Tod, die bekannte Stelle, die schildert, „sein Gesicht hatte einen so gefaßten Ausdruck, als wäre er beinahe zufrieden damit“ gestorben zu sein, ist denkbar nah am Soldatenhelden- und Kriegskitsch.
Sicher, Remarques Im Westen nichts Neues ist nicht Walter Flexens Wanderer zwischen beiden Welten (1916), aber der Roman ist bei Weitem nicht so kritisch, wie er in meinen Augen sein könnte und müsste. Fast möchte ich mich dazu hinreißen lassen, ihn als Wohlfühlbuch zu titulieren, geschrieben für alle, die neuerdings gegen Krieg sind und die ‚bloß‘ als ‚einfache‘ Soldaten daran teilgenommen haben, für die, die glauben, sich nichts vorzuwerfen zu haben, weil die Fehler nur von ‚denen da oben‘ gemacht wurden, den Politikern und Generälen. Mit den unschuldigen Frontjungen, die den Verlust ihrer Unschuld beweinen, die aufgehetzt und verführt wurden, aber selbst kein Wässerchen trüben können, sympathisiert man als Leser doch gern. „Ich verliere mich oft an dieses Spiel zartester Lichter und durchsichtiger Schatten, so sehr, daß ich fast die Kommandos überhöre; wenn man allein ist, beginnt man die Natur zu lieben“, schreibt der empfindsame Bäumer. Traurig, dass so ein Lämmchen an der Front geschlachtet wird. Das Motto des Romans spricht von der Generation, die vom Krieg zerstört wurde, doch dass im Krieg auch der einzelne, ‚einfache‘ Soldat eine zerstörerische Wirkung entfaltet, kann man bei Remarque allenfalls zwischen den Zeilen lesen.
Im Westen nichts Neues als Graphic Novel (?)
Es geht in dieser Rezension aber nicht eigentlich um Remarques Roman, sondern um die kürzlich im Splitter Verlag erschienene Adaption Im Westen nichts Neues. Eine Graphic Novel von Peter Eickmeyer nach dem Roman von Erich Maria Remarque.
Comic-Adaptionen literarischer Texte sind in Deutschland gerade sehr in Mode. Nehmen wir nur einmal den Suhrkamp Verlag, der nicht eben für seine lange Tradition in Sachen Comic bekannt ist. Seit 2011 sind alleine bei den Neu-Berlinern elf Adaptionen kanonischer Werke erschienen: Mit dabei sind Robert Musil, Marcel Beyer, Lewis Carroll und Thomas Bernhard. Für Suhrkamp sind das zum Teil willkommene Zweitverwertungen von Lizenzen, die ohnehin schon im Haus sind. Bringt man – wie Splitter mit Eickmeyers Remarque-Adaption – im ersten Kriegsjubiläumsjahr 2014 einen Weltkriegsroman als Graphic-Novel heraus, kann man also gleich an zwei Trends anschließen. Verlegerisch ist das eine kluge Entscheidung.
Um wirklich von beidem profitieren zu können, müssen aber auch beide Kriterien erfüllt sein. Remarques Roman als Weltkriegsroman: Check. Eickmeyers Adaption als Graphic Novel? Eher nicht.
Auch ohne das durchaus lesenswerte Nachwort von Thomas F. Schneider, dem Leiter des Erich Maria Remarque-Friedenszentrums in Osnabrück, fallen dem entsprechend vorgebildeten Leser zahlreiche Anspielungen in Eickmeyers Bildern auf. Er bezieht sich auf eine Vielzahl von Werken der Antikriegsmalerei: auf Werke u.a. von Christopher Nevinson, Gilbert Rogers, William Orpen und Pablo Picasso. Eickmeyer geht offensiv damit um, dass über den Ersten Weltkrieg nicht nur endlos viel geschrieben, sondern auch endlos viel an Bildmaterial produziert wurde. Das ist ganz eindeutig eine Stärke des Buches und es ist zugleich seine größte Schwäche.
Mehr als drei Jahre lang hat Eickmeyer an seiner Adaption gearbeitet. Die waren sicher auch nötig, denn es handelt sich überwiegend um ganz- oder doppelseitige Gemälde, die denen der Kriegsmaler ähneln. Sie sind oft eindrucksvoll und gut komponiert, doch sie zeigen auch, dass ein kompetenter Maler noch keinen Comicautor macht. Seine Bilder sind größtenteils nicht narrativ, sondern eher symbolisch. Sie zeigen selten bestimmte Augenblicke, sondern gerne breite Ansichten vom Kriegsgeschehen, ohne auf einzelne Figuren zu fokussieren. Vor diese Bilder ist nun Remarques Roman en bloc gesetzt – gekürzt um ganze Passagen und ergänzt um gelegentliche Tippfehler, die wohl von der Texterfassung rühren. Die Kürzungen am Text machen diesen nur leider nicht besser, sondern schwerer verständlich, was von den nicht-narrativen Bildern nur bedingt aufgefangen wird. So präsentiert die Adaption Remarques Text verstümmelt. Das mag zum Weltkrieg passen, erfreut aber den Leser nicht. Und eine Graphic Novel, eine szenisch dargestellte Geschichte in Bildern, ist das jedenfalls nicht. Die längste Folge von direkt aufeinander bezogenen Bildern, von der man behaupten kann, dass sie Handlung zeigt, umfasst, wenn man großzügig zählt, fünf Bilder. Das genügt nicht, um eine Geschichte wirklich zu erzählen, erst recht nicht, um eine Beziehung zu den Figuren aufzubauen, etwas das doch gerade Bilder sehr gut leisten könnten. Doch die meiste Zeit sehen wir die Figuren nicht einmal, sondern nur Gestalten in Gasmasken oder gesichtslose Haufen.
Produktive Adaptionen, bitte!
Wie bei den bild-künstlerischen Paten wie Nevinson und Rogers nicht anders zu erwarten, überwiegt in Eickmeyers Bildern Schlamm, Elend und Tragik. Allenthalben sehen wir zerstörte oder sich in der Auflösung befindende Leiber und Landschaft, die kaum noch als solche zu bezeichnen sind. Das passt zum Ersten Weltkrieg, das ist es, was wir als Leser und Käufer erwarten. Doch es ist auch ein bisschen abgenutzt.
Dabei hat Im Westen nichts Neues durchaus das Potential, einmal nicht tragisch und schlammig adaptiert zu werden. Mort Walker gelingt es in Beetle Bailey doch ganz wunderbar, das Militär und seine entmenschlichten Strukturen und Mechanismen humoristisch aufs Korn zu nehmen. Warum nicht mutig weggehen von der Remarqueschen Vorlage und etwas Knalliges probieren? Schon Remarques Figuren sind in ihrer Anlage humoristisch: „Albert Kropp, der von uns am klarsten denkt und deshalb erst Gefreiter ist; – Müller V, der noch Schulbücher mit sich herumschleppt und vom Notexamen träumt; im Trommelfeuer büffelt er physikalische Lehrsätze; – Leer, der einen Vollbart trägt und große Vorliebe für Mädchen aus den Offizierspuffs hat“. Dann „Tjaden, ein magerer Schlosser, […] der größte Fresser der Kompagnie. Er setzt sich schlank zum Essen hin und steht dick wie eine schwangere Wanze wieder auf“. Hier haben wir eine schöne Truppe von Karikaturen: der Kluge, der Naivling, der Schwerenöter, der Fresser – und wer denkt bei „Haie Westhus, […] Torfstecher, der bequem ein Kommißbrot in die Hand nehmen und fragen kann: Ratet mal, was ich in der Faust habe“ nicht an die Schenkelklopfer-Szene aus Police Squad (und dann wieder in The Naked Gun) in der der riesenhafte Al eine halbe Banane im Mundwinkel hat? Eine Adaption, die das versuchte, wäre eine produktive Adaption, eine, die neues Terrain in der Darstellung des Ersten Weltkriegs erkunden könnte. Eickmeyer erkennt dieses Potential durchaus, nicht zuletzt legt er die Figuren überzeichnet an: Nur die Geschichte mochte er mit ihnen offenbar nicht erzählen.
Besser wäre es deshalb gewesen, man hätte das Buch als illustrierten Roman angelegt und den kompletten Text abgedruckt. Dann hätte man es auch nicht als Graphic Novel bewerben müssen. Allerdings hätte man es dann auch nicht als Graphic Novel verkaufen können.